Knapp 2 Jahre ist es nun her, da stellte BMW ihren komplett überarbeiteten Supersportler in Estoril vor. Ein extrem gutes Paket, das auf der Rennstrecke bereits im Serientrim hervorragend funktionierte. Die Erfahrung der letzten Jahre lehrte mich aber, dass Erfolge auf der Rennstrecke, immer mit Kompromisse im Alltag und der Landstraße einhergehen! Wie hoch die sein würden, konnten nur ausgiebige Touren durch den Schwarzwald und über die Schwäbische Alb zeigen – kann die in Berlin-Spandau gefertigten S 1000 RR auch Landstraße?
Eckdaten die keine Wünsche offenlassen
Vorab nochmal schnell zu den Eckdaten. Die Doppel-R schiebt mit (mindestens) 207 PS und 113 Newtonmetern ihre 197 Kilogramm an (Standard-Version, bei der M-Version sind es gar nur 193,5 Kg), wobei bereits bei knapp 5.000 Touren über 100 Newtonmeter bereitgestellt werden. Sie verfügt über ein Elektronikpaket, welches keine Wünsche offenlässt, also zum Beispiel ein Schräglagenabhängiges ABS von Conti, Traktionskontrolle, Blipper und unzählige Fahrmodi um nur mal ein paar Schlagworte zu nennen. Technisches Highlight sind sicher die variablen Steuerzeiten, welche durch ein mechanisch sehr anspruchsvolles wechseln der Nockenwellenkontur bei 9.000 Touren – das sogenannte ShiftCam – erreicht wird. Hierdurch verschafft man dem Aggregat die nötige Agilität bei niedrigen Drehzahlen aber eben auch den gehörigen Punsch oben raus. Und legt man nun noch die Drehmomentkurve der S 1000 R drüber, so wird man parallelen feststellen.
Tourentaugliches Sportaggregat
Und es funktioniert! Bewegt man sich im niedrigen Drehzahlniveau, so spricht der 999 Kubikzentimeter 4-Zylinder-Reihen-Motor butterweich an und dreht spielerisch hoch. Dabei gibt es keinerlei Leistungslücken oder gar unberechenbare Momente. Gepaart mit dem super abgestimmten Schaltassistenten, lassen sich die Gänge bei jeder Drehzahl – untermalt mit einem schönen, nicht aufdringlichen Soundkulisse – nur so durchklicken. Insgesamt ist der Motor eine absolute Wucht. Selbst aus der Ortschaft mit unter 50Km/h raus, lässt sich im 6.Gang entspannt Gas geben und die RR schiebt nachhaltig an. Auch spürt man keine störende Lastwechselreaktionen, was gerade auf engen Bergstraßen und verwinkelten Strecken einen sehr positiv stimmt. Besonders lobenswert empfinde ich hier die Soundentwicklung, welche einem selber Spaß vermittelt, die Umwelt aber nicht unnötig stört. Beim Umgang mit den Fossilen Brennstoffe ist die Bayerin nicht ganz so sparsam, aber mit 6,29 Liter auf 100 Kilometern noch immer in einem guten Rahmen für einen Supersportler.
Komfort auch nach über 300 Kilometern
Der neu gestaltete Rahmen und die daraus gewonnenen Freiheiten, machen sich gerade auf Tour positiv bemerkbar. Saß man bei der Vorgängerin noch irgendwie steif auf dem Motorrad und musste ab einer gewissen Beinlängen seinen Platz mühsam finden, so hat man nun Freiheiten ohne Ende, kann sich auch mal entspannt draufsetzen und cruisen oder eben die sportliche Angriffshaltung einnehmen. Dazu wurden die Lenkerstummel so angebracht, dass auch hier kein Handgelenksschaden nach 300 Kilometern Landstraße entsteht. Gerade auf längeren Touren macht sich dies alles bezahlt und steigert so die Lust auf mehr.
Ein Chassis ist natürlich ohne potentes – in diesem Fall elektronisch einstellbare – Fahrwerk nur halb so viel Wert. Und hier haben die Münchner Ingenieure eine sehr gute Mischung aus Sport und Alltag gefunden. Durch den mit 66,9 Grad etwas steileren Lenkkopfwinkel und einer um 9 Millimeter verlängerten Schwinge, konnte die Gewichtsverteilung mit 53,8% mehr auf die Front verlagert werden, was unterm Strich einfach Gefühl und Feedback erzeugt. So hat man laufend ein sehr vertrauenerweckendes Gefühl fürs Vorderrad, sodass selbst bei schlechteren Straßenbedingungen ein flotter Ritt keine Schweißperlen unterm Helm erzeugen. Und musste der Anker doch mal geworfen werden, so konnte man sich auf die Stopper jederzeit verlassen. Für den Straßeneinsatz eine absolute Wucht und hält spielerisch einen flotte Passstraßen-Einsatz aus. In Kombination mit den hier montierten Metzeler Racetec RR, musste häufig die Vernunft eingreifen, da man Fahrdynamisch irgendwie unverwundbar war. Muss gestehen, dass man schnell vergisst wo man sich befindet und die Bremspunkte laufend später setzt!
Elektronik ohne Ende
Und ist man dann gefühlt doch mal zu spät, greift noch beherzter rechts in die Hebel, so regelt das schräglagenabhängige ABS sauber und unspektakulär nach. Ich hatte mir im Vorfeld fest vorgenommen, die Funktion in Schräglage mal zu testen und bewusst härter reinzugreifen, traute mich aber nicht wirklich. Ein unachtsam einbiegender Radfahrer verschaffte mir dann aber den Moment und das Gefühl einer Schreckbremsung in Schräglage – Langweilig! Passiert quasi nichts, sie brems einfach, man hält spielerisch die Linie und fährt einfach weiter!
Insgesamt arbeitet die Elektronik unspektakulär im Hintergrund und greift dann sanft ein, wenn sie es muss. Auch sind die Modi so abgestuft, dass jeder fahrerische Reifegrad mit der Doppel-R abgedeckt werden kann.
Das 6,5 Zoll TFT Display lässt sich hervorragend, selbst bei extremer Sonneneinstrahlung, ablesen und man findet sich schnell im Menü zurecht. Sehr schön finde ich die sehr leicht verständliche Erläuterung der Funktionen. Es empfiehlt sich aber, im Vorfeld sich mal mit allen Funktionen vertraut zu machen, da man meines Erachtens während der Fahrt zu stark abgelenkt wird. Einzig nicht sauber weggewischte Wassertropfen können störende Schlieren auf dem Display hinterlassen.
Also Bedienung und Ablesbarkeit waren absolut top. Nur ist glaub mein Daumen zu dick, sodass ich beim Blinker betätigen immer wieder ans Rollrad für die Menüsteuerung kam und so die Anzeige änderte.
LED Rundum
Über die nun endlich symmetrischen Scheinwerfer, hatte ich mich ja bereits beim Test in Estoril nur positiv geäußert. Aber schön ist eines, Funktion was anderes. Und auch hier hat die Bayerin alles im Blick. Die LEDs leuchten bei absoluter Dunkelheit sehr harmonisch und weit aus, dazu geben die Tagfahrleuchten der Front einen besonderen Kick.
In Punkto hinterer Beleuchtung, hat man zwar eine smarte Lösung gefunden, schnell rennstreckentauglich zu sein indem quasi alle Lichtzeichen in den Blinkern vereint. Doch empfinde ich die Lichtsignale, gerade bei voller Sonneneinstrahlung, also zu unauffällig.
Fazit
BMW zeigt, dass top Rennstreckenperformance und Alltags- bzw. Landstraßentauglichkeit kein Gegensatz darstellt der sich ausschließt. Man kann mit der S 1000 RR chillig zur Eisdiele durch die Stadt cruisen, am Wochenende mit kleinem Gepäck auf Tour gehen und zwischendurch auch mal seine Bestzeit auf dem Track verbessern. Es fühlt sich alles sehr durch- und mitgedacht an. Und wer mit Aufpreispflichtigen Teilen noch mehr rausholen möchte, der wird auch dies nicht bereuen.
Kurzcheck
Positiv
- Sportlicher Sound aber nicht zu laut
- Perfekt abgestimmtes Fahrwerk
- Hervorragendes Ansprechverhalten des Motors bei niedrigen Drehzahlen
- Sitzergonomie, auch über 190 cm sehr komfortabel
Negativ
- Rück- und Bremslicht teilweise unauffällig
- Könnte sicher spritsparender sein
Bilder vom Alltagstest der BMW S 1000 RR
- Detail-Aufnahmen der BMW S 1000 RR
- Tagestour durch den Nordschwarzwald
- Tagestour über die Schwäbische Alb bis ins Allgäu
Fotos. Rainer Friedmann „Kraftrad“
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