Ducati wächst, nicht nur als Marke, sondern auch regelmäßig beim Hubraum. Nachdem bereits Anfang des Jahres die 1299 Panigale mächtig zulegte, folgt ihr 2016 die „kleine“ Panigale mit satten 57 Kubikzentimeter nach und klopft allmählich an die Superbiketür.
Gerade mal eine Woche ist es her, als die Italiener auf der EICMA ein Feuerwerk an Neuheiten abbrannten und mit der 959 Panigale einen der Mittelklasse entwachsenen Sportler präsentierten. Getrieben von gesetzesvorgaben – die EURO 4 ist im Anmarsch – musste einiges am Superquadro getan werden, um den ab 2017 verbindlich geltenden Grenzwerten gerecht zu werden. Die Ingenieure um Stefano Strappazzon legten aber noch einiges oben drauf und gaben der Kleinen satte 157 PS und 107 Nm bei trockenen 176 Kg mit auf den Weg.
Anders als bei ihrer großen Schwester der 1299 Panigale, will Ducati keine neuen Superlative mit ihr aufstellen, sondern ein ausgewogenes Sportbike anbieten, welches sich auf einer entspannten Landstraßentour genauso wohl fühlt wie bei der beherzten Hatz auf dem Racetrack.
So wurde die Front etwas breiter und das Windschild insgesamt höher, was den Fahrer deutlich mehr Komfort bietet. Aber auch die Lufteinlässe profitieren vom Wachstum, und führen dem 955ccm Superquadro mehr Frischluft zu, die durch einen weiter optimierten Luftfilter bei gleichgebliebener Verdichtung (12.5:1) an den ovalen 62 mm Drosselklappen ankommt. In Verbindung mit einem um 3,6 mm längeren Hub (60,8 mm) bei gleichgebliebener Bohrung (100 mm) und einem etwas größeren Abgasauslass, stieg die Leistung um 6% und das Drehmoment sogar um 8% gegenüber der 899 Panigale an.
Entscheidender ist jedoch der verbesserte Drehmomentverlauf. Konnte bei der Vorgängerin erst ab 7.500 Touren von Leistung gesprochen werden, so setzt diese bei der 959 bereits ab 6.000 Touren ein und erstreckt sich über ein deutlich größeres Leistungsband im oberen Drehzahlbereich, was für entspanntes Speedcruisen auf der Landstraße sicher von Vorteil ist.
Für eine sportliche Landpartie sehen die Daten schon mal sehr vielversprechend aus. Reicht das aber auch, um auf der Rennstrecke vorne mitfahren zu können? Können guten Straßenqualitäten auch bei härterem Einsatz mithalten? Auf dem Circuit de la Cominitat Valenciana Ricardo Tormo konnte sie es unter Beweis stellen.
Die Ersten Meter
Na dann, Leder an, Helm auf, aufsitzen und ab. Erstaunlich viel Platz den selbst ein über 1,90 Meter großer Fahrer auf ihr findet. Die von der großen Schwester stammenden aus Aluminium gefrästen Rasten sind sportlich aber nicht zu extrem angebracht und bieten festen Stand, Lenkerende und Winkelung sind sehr angenehm, die verbesserte höhere Scheibe lässt einen freien Blick auf das sehr gut ablesbare LCD-Dashboard zu und verspricht bereits auf den ersten Metern einen guten Windschutz. Gleich mal die Gänge mit DQS Unterstützung (Ducati Quick Shift) bis in den 4. hoch durchladen, der Motor zieht sauber durch, funktioniert tadellos. Das läuft schon mal sehr gut.
Emotions by Sound
Aber etwas fehlt doch? Etwas, das man bei den Italienern immer hatte – extrem emotionaler Sound. Die 959 schnurrt förmlich um den Kurs und ermöglicht einem sogar den Verzicht auf einen Gehörschutz. Daran wird man sich wohl gewöhnen müssen. Denn neben den EURO4 Einschränkungen, gibt es auch eine Reform der Geräuschmessung, die einige Soundfetisischten – zu denen ich sicher auch gehöre – zum Umdenken anregen werden und die Herstellern wie Ducati aber auch BMW mit der S1000RR, Aprilia mit der RSV4 und sogar Yamaha mit der R1 vor echte Herausforderungen stellen wird.
Dennoch schafft es der Zubehörmarkt – allen voran Akrapovič – sich in diesem sensiblen Bereich zu bewegen. So bieten die Edelauspuffschmiede im Rahmen der Ducati Performance Reihe einen bereits homologierten Voll-Titan Slip-On Auspuff an, der nicht nur 1,6 Kg leichter und Leistungstechnisch optimiert ist, sich deutlich besser in die Linienführung der Panigale einfügt, sondern auch einen deutlich dumpferen und sportlicheren Klang bietet. Ein besonderes Gimmick oben drauf sind die von der MotoGP abgeschauten Titangitter am Ende der beiden Rohre, die sich schnell in wunderschöne Blautöne verfärben. Es geht also doch – EURO4 und Geräuschvorschriften vs. Emotions by Sound.
Also, Hacken an Sound und Auspuff – by the way: außerhalb der Eurozone behält die 959 Panigale ihren wunderschönen Auspuff unterm Motor und somit die bekannte Soundkulisse!
Kein „kleines“ Drehmoment
Bei 9.000 Touren hat der 955cc Superquadro, der über den kompletten Drehzahlbereich super sauber und fein anspricht, sein maximales Drehmoment von 107 Newtonmetern erreicht und liegt damit nur knapp 10 Nm unter den Werten einer aktuellen Fireblade oder GSX1000R. Allerdings ist das wirklich nutzbare Leistungsband deutlich schmäler, sodass die 959 Panigale auf der Rennstrecke extrem präzises gefahren werden muss, sich dann aber sau schnell und als geübter 1000er-Pilot entspannt bewegen lässt.
Die Leistung ist dabei perfekt kontrollierbar, sodass die 8-stufige DTC (Ducati Traction Control) seltenst eingreifen muss. Überhaupt, kann man alle elektronischen Helferlein von der 3-stufige EBC (Engine Brake Control) über das ebenfalls in 3 Stufen einstellbaren Bosch 9MP ABS, per Fahrmodis „Race“, „Sport“ und „Wet“ oder jeden Wert individuell so fein einstellen, dass man das Gefühl hat, nichts würde einen reglementieren – toll!
Verzögert wird die 959er durch Standard Brembo M4.32 Bremssätteln mit 320 mm Scheiben. Diese arbeiten sehr präzise und ermöglichen schön kontrollierbare Hinterradlupfer beim Vernichten von 100 Km/h am Ende der Gegengerade. Allerdings gehen solche Manöver auf Dauer nicht spurlos an ihr vorbei und lassen den Druckpunkt gegen Ende des Turns doch leicht wandern.
Beim anbremsen und runterschalten – muss leider weiterhin mit Kupplung erfolgen, da kein Blipper verbaut wurde – bringt die nun integrierte Anti Hopping Kupplung in Verbindung mit der einstellbaren Motorbremse (EBC), Ruhe und Spurtreue ins Gesamtsystem. Es bietet dem Fahrer die Möglichkeit zwischen keiner Motorbremse, leichter Bremswirkung und voller Verzögerung zu wählen welche dann über die Slipper-Clutch nachjustiert wird. Ein echter Gewinn an Stabilität und Anpassungsmöglichkeiten für jeden Fahrer.
Kann ein Fahrwerk beides – Race und Street?
Größere Änderung zur 899 gab es nicht. So wurde nur der Radstand um 5 Millimeter verlängert und der Schwingendrehpunkt 4 Millimeter nach unten gesetzt. Fahrwerkstechnisch leisten die 43 mm Showa Big Piston Fork in Kombination mit der hinten seitlich montierten Sachs-Federung sehr gute Arbeit und geben dem Piloten feinfühlig Rückmeldung vom Vorderrad. Insgesamt sind die Elemente recht soft abgestimmt, was für die Landstraße sicher ein Zugewinn darstellt, auf der Rennstrecke jedoch nachjustiert werden müssen!
In der Standardeinstellung war die Gabel etwas zu soft, was zu leichtem untersteuern führte und gerade auf welligen Untergrund das letzte Gefühl für´s Vorderrad vermissen ließ. Durch erhöhen der Federbasis vorne um eine Umdrehung und somit Veränderung der Gewichtsverteilung (Standard 51% vorne und 49% hinten) in Kombination mit einer um 1 Umdrehung weiter geschlossenen Federvorspannung (kann man übrigens direkt mit dem Zündschlüssel verstellen – cool!), konnten dem Effekt schnell und effektiv entgegengewirkt werden.
Grundsätzlich gibt sich das Fahrwerk keine Blöse und pilotiert einen extrem leichtfüßig, zielgenau und kontrolliert über den Kurs. Für den Test montierten die Ducatisti Pirelli Supercorsa SC2 in der Standardgrößen vorne und 180/60 R17 hinten – ausgeliefert wird die 959 allerdings mit dem Pirelli Diablo Rosso Corsa – was weitere Sicherheit gab.
Darf es etwas mehr sein?
Beim Test konnte man die Serien 959 sowie eine mit Ducati Performance gepimpte 959 testen. So war an dieser neben vieler Carbon und Racing-Teile, der Akrapovic Slip-On Auspuff (1.229 Euro), eine nochmals höhere Scheibe (115 Euro) und gefräste Hebel (252 Euro) verbaut. All diese Teile veredeln zum einen die eh schon wunderschöne Panigale – welche in Rot für 16.290 Euro und in Weiß mit 200 Euro Aufpreis zu haben ist – zum anderen heben sie die Performance weiter an. So empfand ich das Ansprechverhalten und den Durchzug mit dem optimierten Akra noch sanfter und druckvoller, die höhere Scheibe bot perfekten aerodynamischen Schutz und beide Hebel waren deutlich angenehmer und besser einstellbar. Sicher kein günstiger Spaß, dafür aber ein echt lohnender!
Fazit
Ducati hat ihren ersten EURO4 tauglich Sporter hingestellt und dies nicht lieblos durch „zustopfen“ des Auspuffes, sondern mit viel Detailarbeit und Hingabe. Das Ergebnis eine neues Sportbike, dass sich perfekt zwischen den Highperformance Geräten und der Mittelklasse einreiht und so einzigartig am Markt ist. Endlich wieder ein Sportbike, mit dem man sicher entspannt auf Landstraßentouren gehen kann, aber auch mal mit den Kumpels auf der Rennstrecke so manchen 1000er-Fahrer zur Verzweiflung bringen kann. Denn hat man den Dreh mit den Drehzahlen raus, fliegt die 959 Panigale handlich, präzise und mühelos um jedes Eck. Etwas sexyness verliert sie zwar, dafür tun sie heute schon was für die Umwelt. Tolle Arbeit!
Fazit in Punkten
Positiv:
– sehr stabiles und handliches Fahrverhalten
– einfache Bedienung aller Elemente
– feinfühliger und ruhiger Motor
– perfekt funktionierende elektronische Helfer
– bequem und doch sportlich, auch für große Fahrer
Neutral
– perfekter Schaltassistent, allerdings ohne Blibber
– Klang nicht mehr so brachial
Negativ
– Designverlust durch Auspufflösung
– Erfordert sehr präzises Fahren auf der Rennstrecke
– Bremse für dauerhaften Rennstreckeneinsatz nicht standfest genug
Text: Rainer Friedmann ‚Kraftrad‘ / Bilder: Rainer Friedmann ‚Kraftrad‘, Ducati
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